Was bedeutet eigentlich hören?
«Listen like mad!» - "höre wie verrückt!"
Hören ist die unverzichtbare Grundlage jeglicher Art Musik zu machen.
David Darling gab uns immer wieder die Anregung: «Listen
like mad!» - höre wie verrückt! Noch bevor eine Improvisation
überhaupt beginnt, kommt das Hören in die Stille, erst dann das
Hören auf die Mitspielenden. Daraus entsteht im besten Falle authentische
Musik, die vom Verstand nicht kontolliert werden kann.
Im Art Of Improvisation Kurs, letzten Sommer in Fredonia NY,
USA, ist mir noch eine weitere Dimension des Hörens bewusst
geworden. Terry Beck, der Tänzer, Choreograf, Qi Gong Lehrer
und Akupunkteur hat jeden Morgen mit uns meditative Aufwärmübungen
gemacht. Es ging darum, sich im Punkt Null, dem
Schwerpunkt in der Mitte zwischen Bauchnabel und Kreuzbein zu
sammeln, das Kreuzbein zur Erde sinken zu lassen und in den
Knien loszulassen, so dass die Lebensenergie frei zwischen Himmel
und Erde durch den Körper fliessen kann. Der Punkt Null ist
der Ursprung jeglicher Bewegung. Er entspricht bei Music for People
der Stille, aus der alle Musik hervorgeht.
Terry forderte uns jeweils auf, aus der Sammlung im Punkt Null in
den ganzen Raum um uns herum hinein zu hören und zwar nicht
nur mit den Ohren, sondern mit unserem ganzen Körper die
Schwingungen des Raums wahrzunehmen. Dabei hilft es, mit den
Augen keinen Punkt zu fixieren, sondern mit «weichem» Blick das
ganze Blickfeld als Gesamtes wahrzunehmen. Aus dieser nach allen
Seiten offenen Haltung entsteht wie von selbst Bewegung und
Musik, ohne dass ich überlegen muss, was ich als nächstes tun
soll. Die Erfahrung dieser Mühelosigkeit ist unglaublich befreiend.
Durch das ganzkörperliche Hören in unsere Umgebung, schaffen
wir den Raum für die Schöpferkraft, sich durch unseren Körper zu
materialisieren und nach aussen zu wirken. Dies ist oft das krasse
Gegenteil zum Alltag, wo wir alles «im Griff» haben müssen.
Neulich hatte ich Gelegenheit, bei einem Podiumsgespräch als
Zurhörer dabei zu sein, wo Andreas Vollenweider, der bekannte
Harfenist, gefragt wurde, was für ihn Improvisation sei. Seine
Antwort hat mich verblüfft. Er habe den Eindruck, dass beim Improvisieren
das Hören zwar ganz wichtig sei, wenn er aber auf
seinen Höreindruck reagiere, komme er mit seiner Reaktion immer
zu spät. Er empfinde vielmehr, dass jeder Mitspieler eine
Ausstrahlung habe, quasi ein Feld um sich herum. Erst wenn er
dieses Feld wahrnehme und sich darauf einschwinge, könne er
mit den anderen Musikern synchron improvisieren.
Aus all diesen Erfahrungen wurde mir klar, wie hören sich nicht
nur auf das Akustische beschränkt, sondern den ganzen Körper
mit einbezieht. So wird das gemeinsame Musizieren zu einem beglückenden
Erlebnis des miteinander verbunden Seins, das die
Musiker über sich hinauswachsen lässt.
André Renold
What does listening mean?
Listening is the indispensable basis of making music, no matter what kind. David Darling told us always to «listen like mad!». Before an improvisation even begins, we listen into the silence, and only then to the other players. In the best case, authentic music arises from there, music that can’t be controlled by the mind.
In the Art Of Improvisation workshop that took place at SUNY Fredonia in the USA last summer, I became aware of another dimension of hearing. Terry Beck, the dancer, choreogapher, Qi Gong teacher and acupuncturist, did a meditative warm-up with us every morning. It was about gathering and centering oneself at point zero, the point in the middle between navel and sacrum, by letting the sacral bone sink toward the ground and letting go in the knees, so that the energy is allowed to flow through the body freely, between heaven and earth. Point zero is the source of every movement. In terms of Music for People, point zero is the silence from which all music originates.
Terry would invite us to start at point zero and then to listen into the space all around us, not only with our ears but also by perceiving the vibrations of the room with our whole body. It helps, not to stare at a specific point, but rather to look with «soft» eyes and perceive the entire field of vision as a whole. From this position and mindset, open to all sides, movement and music develop without me having to think about what to do next. Experiencing such effortlessness is incredibly liberating.
Through listening into our surroundings with our whole body, we make room for the creative power to materialize through our body and to take effect on the outside world. This is often the crass opposite of everyday life, where we always have to be «in control».
I recently had the opportunity to attend a panel discussion where Andreas Vollenweider, the renowned harpist, was asked what improvisation was for him. His answer amazed me. He said that he got the impression that, while improvising, hearing is important, but if he reacts solely to his auditory impression, his reaction is always late. He finds that every fellow player has an aura, a field around them. Only when he perceives this field and tunes in is he able to improvise in sync with the other musicians.
From all these experiences it became clear to me that listening and hearing are not limited to acoustics – it involves the whole body. Thus, making music together becomes a exhilarating experience of being connected together and lets the musicians surpass their limitations.
André Renold
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